Prolog

1383 Words
„Nach dem Einsatz in Afghanistan hast du dir deine freie Woche wirklich verdient. Ich erwarte allerdings, dass du nächste Woche pünktlich um sieben Uhr wieder auf dem Stützpunkt anwesend bist." Und da ist er wieder, sein strenger Blick.  „Ich versichere dir, ich werde da sein. Danke Dad", Avery atmet tief durch. Es kommt nicht oft vor, dass sie und ihr Vater ein normales Vater-Tochter-Gespräch führen. Sie geben sich die Hand und Avery verlässt das Büro ihres Vaters. Draußen nimmt sie ihre Tasche, verabschiedete sich von den Anderen ihrer Einheit und macht sich mit dem nächsten Taxi auf den Weg in die nächste große Stadt. Dort bucht sie sich ein Zimmer in einem Hotel, schmeißt ihre Tasche achtlos auf den Boden und kommt sofort wieder raus zum Taxi. Sie fährt zu einem ihrer Lieblingsorte, eine Klippe mitten im Nirgendwo. Einfach nur die Füße baumeln lassen und die Stille genießen. „Können Sie in zwei Stunden wieder hier her kommen?" Fragt sie den Taxifahrer als sie dort ankommen. Er nickt und fährt davon. Entspannt setzt Avery sich auf einen Felsvorsprung und blickt in die Ferne. Von dieser unendlichen Weite bekommt sie einfach nie genug. Hier kommt sie sich so klein und unbedeutend vor, dass auch all ihre Probleme und Sorgen unwichtig erscheinen.  Die letzten Wochen waren sehr ereignisreich, es war ihr zweiter Einsatz in Afghanistan, anders als letztes Mal war es dieses Mal sehr ruhig, sie kam nie in einen offenen Konflikt und verbrachte die meiste Zeit damit in Dörfer zu fahren und Frauen und Kindern zu helfen, die ihre Heimat verloren hatten. Das war der Grund wieso sie ihre Eltern angefleht hatte sie gehen zu lassen, sie konnte all das Leid auf der Welt nicht ertragen. Jetzt da sie zumindest ein paar Menschen helfen konnte, fühlt sich die Last auf ihren Schultern etwas kleiner an. Natürlich ist ihr klar, dass sie als einzelne Person nicht viel ausmachen kann, aber wenn jeder aus diesem Grund tatenlos herumsitzt wird sich nie etwas ändern. Schon als Kind hatte sie nicht verstehen können, wie es ihr, und den Leuten in ihrem Umfeld, so gut gehen kann und vielen Menschen, rund um die Welt, so schlecht. Sie liebt diesen Ort deshalb so sehr, weil er friedvoll ist. Hier hat sie das Gefühl, dass die Welt wieder ein besserer Ort werden kann, dass der Krieg ein Ende finden kann. Denn wie kann in einer so schönen Welt, so ein furchtbarer Krieg walten? Eine kleine Träne stiehlt sich aus ihrem Augenwinkel, sie weiß selbst nicht wieso. War es Zuversicht? Trauer? Hoffnung? Auf dem Weg zurück zu ihrem Hotel schweifen Averys Gedanken ab zu dem Moment in dem ihrer Einheit verkündet wurde, dass sie wieder nach Hause gehen werden, sie hatte sich so gefreut ihre Eltern wieder zu sehen. Auch wenn sie eigentlich kein enges Verhältnis zu ihnen hat, ihre Beziehung, vor allem zu ihrem Vater, ist mehr beruflich als familiär. So ist ihr Vater einfach, er liebt sie, das weiß Avery, er kann es nur nicht immer zeigen. Das nimmt sie ihm auch nicht übel, er ist eben wie er ist. Er selbst ist eben auch schon so aufgewachsen, schon sein Urgroßvater hat Karriere beim Militär gemacht. Das ist also eine Art Familientradition.  Sie wird aus ihren Gedanken gerissen als der Taxifahrer erst laut flucht und dann panisch auf die Bremse tritt. Als sie bemerkt weswegen er so aufgebracht ist, ist es bereits zu spät. Mit quietschenden Reifen rammt sie ein entgegen kommendes Auto von der Seite und schleudert sie die Böschung hinab. Das Kratzen von Stein auf Metall und ihre eigenen erschreckten und ängstlichen Schreie hallen unangenehm in Averys Ohren wieder. Sie versucht sich mit den Knien und Händen am vorderen Sitz so fest sie nur kann in den Sitzt zu pressen um weniger herumgeschleudert zu werden. Das Fahrzeug überschlägt sich zwei Mal und bleibt schließlich auf einem Felsvorsprung etwa 20 Meter unterhalb der Straße hängen.  Als Avery wieder zu Bewusstsein kommt rennen oben auf der Straße eine Menge Feuerwehrmänner, Sanitäter und Polizisten herum. Verwirrt und noch benommen sieht sie sich um und realisiert erst nach ein paar Minuten, was passiert ist. Knapp ein Meter von ihrer Tür entfernt fliegt eine kleine Drohne mit einer Kamera aus der jetzt eine verzerrte Stimme ertönt: "Miss? Können sie mich hören? Haben sie Schmerzen?", es war einer der oben stehenden Polizisten. Sie atmet ein paar Mal tief durch und spürt einen stechenden Schmerz in ihrer rechten Seite, trotzdem antwortet sie mit nein, es waren vermutlich nur ein paar angeknackste Rippen, für sie nichts weiter dramatisches. „Wie heißen sie?" fragt der Mann weiter. „Avery. Avery West. Und mit wem habe ich das Vergnügen?" sie inspiziert weiterhin ihren Körper und sieht dann, dass sie abgesehen von unzähligen Kratzern auch an den Beinen verletzt ist und ihr ein wenig Blut übers Auge läuft.  „Mein Name ist Ricardo Vargas. Ich bin einer der Kommissare hier. Du musst mir kurz helfen. Kannst du nachsehen ob der Fahrer noch einen Puls hat? Versuch einfach an seinem Hals ein Pulsieren zu finden. Schaffst du das?" er behandelt sie wie eine Sechsjährige, das kann Avery überhaupt nicht leiden. Natürlich kann er nicht wissen, dass sie eine medizinische Grundausbildung hat, dennoch gefällt es Avery gar nicht, wie er mit ihr spricht.  Rein aus Gewohnheit trifft sie genau die richtige Stelle und spürt einen leichten Herzschlag.  „Er lebt, der Puls ist schwach aber da. Wenn er nicht bald medizinisch versorgt wird, wird er sterben.", berichtet sie knapp und folgt währenddessen einer Atemtechnik die ihr Vater ihr einmal gezeigt hatte, drei Sekunden lang durch die Nase ein-, dann sieben Sekunden lang durch den Mund ausatmen. Mit dieser Technik verlangsamt man den Puls und wird ruhiger, was in der momentanen Situation dringend nötig ist. Oben steht jetzt auch eine Sanitäterin vor dem Bildschirm und versucht auszumachen, wie schlimm es ist. Da kommt einer der Feuerwehrmänner zu ihnen: „Wir haben die Drehleiter ausgefahren und können jetzt mit Hilfe von Sicherungsgurten einen unserer Männer runterlassen um zuerst das Mädchen und dann den Mann daraus holen." „Nein! Er ist schlimmer dran als ich, holen sie ihn zuerst hoch." Widerspricht Avery sofort. Als Soldatin ist sie darauf trainiert, in solchen Momenten praktisch zu denken und wenn nötig, ihr Leben für das Anderer zu riskieren. „Das steht hier nicht zur Debatte. Sie kommen zuerst raus und dann der Mann." Genervt verdreht Avery die Augen, der Mann sah doch selbst, wie schlecht es dem Taxifahrer ging, es war also nur logisch ihn zuerst raus zu holen. Er sollte sich nicht von seinen Gefühlen beeinflussen lassen, nur weil sie ein Mädchen im Teenageralter ist, muss sie nicht mehr beschützt werden wie jeder andere auch.  „Wenn sie mich zuerst hochholen dann stürzt der Wagen garantiert noch weiter ab, der Mann sitzt weiter unten, wenn er drin bleibt rutscht er runter. Wenn ich hier bleibe, sitze ich oben und die Chance, dass das Auto nicht weg rutscht, ist größer, es ist also nur logisch, wenn er zuerst raus kommt." Nach einem kurzen Moment der Stille, in dem Avery schon dachte, er würde weiter an seinem Plan festhalten, gibt der Feuerwehrmann schließlich nach. Vorsichtig wird die Fahrertür des Taxis aufgebrochen, der Gurt des Fahrers durchgeschnitten und ein Sicherungsgurt um seine Hüfte gebunden.  Als der Feuerwehrmann gerade wieder runter will, um Avery zu holen, rutscht das Auto zwei Meter weiter nach unten. Ein panisches Schluchzen verlässt Averys Mund und ihre Finger krallen sich Halt suchend in ihren Sitzt. Ein kleiner Schmerzensschrei verlässt ihren Mund, als ihr bereits verletztes Knie erneut gegen den Vordersitz prallt. Nach ein paar Sekunden hat Avery ihre Gefühle wieder unter Kontrolle und drängt die aufkommende Panik zurück, im Moment braucht sie einen klaren Kopf. So schnell wie möglich wird die Drehleiter des Feuerwehrautos neu positioniert, Avery aus dem Auto befreit und oben auf eine Trage gelegt. Gerade noch rechtzeitig, denn sobald sie mit dem Feuerwehrmann in der Luft baumelt, stürzt das Auto in die Tiefe und hält erst am Boden der Schlucht wieder an.  Ein Rettungsarzt nimmt sie oben in Empfang und beginnt sofort mit der ersten Untersuchung ihrer Verletzungen. Er misst ihren Blutdruck und Puls und legt ihr schließlich einen Zugang in den linken Unterarm über den er ihr Schmerzmittel und Flüssigkeit gibt. Nur wenige Momente später verliert Avery das Bewusstsein.
Free reading for new users
Scan code to download app
Facebookexpand_more
  • author-avatar
    Writer
  • chap_listContents
  • likeADD