Kapitel 1

1400 Words
Das nächste Mal, als sie ihre Augen öffnet, liegt sie in einem weißen Bett in einem ebenso farblosen Raum, in den durch zwei große Fenster das Sonnenlicht flutet. Vor der Tür kann sie ein leises Murmeln hören. Als die Stimmen verstummen wird die Tür geöffnet und ihre Eltern betreten den Raum. Bereits am Blick ihres Vaters, der zuerst den Raum betritt, kann Avery sehen, dass er stink wütend ist. „Verdammt Avery! Hättest du nicht aufpassen können? Da gibt man dir einmal Urlaub und so dankst du mir dafür? Sobald du hier raus bist wirst du Strafrunden laufen und zwar nicht zu wenige!" da ist er wieder ihr fürsorglicher Vater und gleichzeitig Vorgesetzter. Der Blick den er ihr zuwirft könnte so manch einen zu Stein erstarren lassen, doch Avery kennt diesen Ausdruck bereits. „John! Das klären wir wenn wir unter uns sind. Es kann jeder Zeit jemand mithören, was wir sagen, also pass auf!", ihre Mutter trägt noch ihre Uniform, sie muss direkt von der Akademie gekommen sein. In dem Moment betritt ein Arzt mittleren Alters das Zimmer. „Wie schön, du bist wach. Deine Verletzungen sind nicht so schlimm, wie sie aussehen, das meiste sind nur oberflächliche Schürfwunden die in ein paar Tagen verheilt sein werden. Jedoch hast du auch ein paar gebrochene Rippen und eine ziemlich heftige Prellung am rechten Oberschenkel, die du noch ein paar Wochen spüren wirst. Wir hätten da aber noch ein paar Fragen zu deinen vielen Narben, die wir dir gerne unter vier Augen stellen würden." Er sieht vielsagend zu Averys Eltern und deutet mit seinem rechten Arm in Richtung Tür, also verlassen sie kopfschüttelnd den Raum. Stattdessen betritt eine Frau in blauem Rock und Blaser den Raum -sie sieht aus als wäre sie gerade aus einer Zeitschrift für Büromode gestiegen- und sieht Avery an als wäre sie ein seltenes Porzellanei, dass gleich zerbrechen könnte. „Was ist so wichtig, dass meine Eltern gehen mussten?", verwirrt und gereizt schaut Avery zwischen den beiden hin und her. „Es geht um deine Narben. Liebes haben deine Eltern dir das angetan? Haben sie dich verletzt?" Averys Gedanken überschlagen sich, als die Worte bei ihr ankommen. „Was? Nein! Meine Eltern haben mich nie schlecht behandelt. Was denken sie wer sie sind um solche Vermutungen aufzustellen? Sie kennen mich doch gar nicht!", nur weil es in der heutigen Zeit anscheinend zu viel Missbrauch durch die eigenen Eltern kommt, kann diese unverschämte Frau doch nicht automatisch davon ausgehen, dass es bei Avery auch der Fall ist, sie kann doch gar nicht wissen, wie Averys Leben aussieht, geschweige denn, wo die Narben her kommen. Ein Monitor links von Avery, der wohl ihren Puls überwacht, beginnt wie verrückt zu piepsen und der Arzt versucht sie wieder zu beruhigen: „Wir wollten dich oder deine Eltern nicht angreifen, wir versuchen nur herauszufinden, woher diese Narben kommen. Wenn wir so etwas sehen müssen wir zuerst das Jugendamt kontaktieren und die ermitteln dann. Das ist das Standardprotokoll, an das wir uns leider halten müssen, deshalb wird Miss Jones hier" - er deutet auf die Frau neben sich -„sich mit deinem Fall befassen. Wenn du und deine Eltern nichts zu verbergen habt, dann beantworte einfach alle ihre Fragen ehrlich und du kannst bald wieder nach Hause." Damit verlässt er den Raum und lässt Avery und Miss Jones alleine, diese zieht sich eine Stuhl, der in der Ecke steht, an Averys Bett und holt eine schwarze Mappe aus ihrer ebenfalls schwarzen Aktentasche. Somit beginnt eine stundenlange Befragung: „Hast du noch Geschwister?" – „Nein", was würde das denn auch für eine Rolle spielen? „Wurdest du schon einmal von einem Familienmitglied bedroht?" – „Nein", Miss Jones macht sich eine kurze Notiz auf einem mitgebrachten Formular. „Wer hat dir das angetan?" – „Das war ein Autounfall.", deswegen ist sie doch überhaupt erst hier gelandet. „All die Narben? Manche sind älter als andere, was ist mit denen?" – „Bin als Kind durch eine Glastür gerannt", auf die Schnelle ist das die beste Antwort, die Avery einfällt. Und so unrealistisch ist sie ja auch gar nicht, zumindest hofft sie es. „Ich habe dich gebeten ehrlich zu antworten, also will ich auch ehrlich sein. Diese Narben sehen mehr so aus, als wärst du gefoltert worden. Elektroschocks, Messerschnitte und Brandnarben. Also sag mir bitte die Wahrheit. Woher stammen diese Narben?" Miss Jones durchbohrt Avery fast mit ihrem sturen Blick, doch damit wird sie bei Avery nicht weiter kommen, diesen Blick kennt sie von ihrem Vater und bei dem ist er viel angsteinflößender. „Wenn ich ihnen das sage, erklären sie mich für verrückt." „Wie wäre es, wenn du mir alles erklärst und mich entscheiden lässt, ob du verrückt bist oder nicht. Avery ich will dir doch nur helfen!", ja klar, Avery glaubte ihr kein Wort, denn allzu viel Empathie schien diese Frau nicht zu besitzen. Es scheint eher, als wäre sie nur hier, weil es eben ihr Job ist und sie hier sein muss, Avery als Person scheint ihr relativ egal zu sein. Ihre Worte waren nichts als Floskeln, welche sie jedem Kind auftischt, das sie zugewiesen bekommt. „Sie können mir nicht helfen und ich brauche auch gar keine Hilfe! Ich bin glücklich mit meinem Leben so wie es ist." Miss Jones will gerade etwas darauf erwidern, als es an der Tür klopft und eine Schwester den Raum betritt. „Entschuldigen sie die Störung aber Avery hat Besuch und diese Leute lassen sich nicht davon abbringen, sie wollen unbedingt zu ihr und dem Anschein nach haben sie nicht viel Zeit." Jones nickt und die Schwester tritt zur Seite, um die Besucher eintreten zu lassen. Neun Männer und Frauen betreten den Raum und scheinen sich sehr zu freuen, Avery zu sehen. Auch Avery muss vor Freude anfangen zu Grinsen, als sie sie sieht. „Ihr seid doch verrückt! Sogar Kommandant Wallis! Danke für den Besuch Leute!" Ihre gesamte Einheit ist gekommen, um zu sehen wie es ihr geht. Obwohl Avery sich ziemlich sicher ist, dass sie gerade eigentlich eine taktische Trainingseinheit an der Akademie hätten. „Für unsere Kleine doch gerne! Wie geht es dir?", einer der Männer tritt vor und nimmt Avery mit Schwung in den Arm, nur um sie danach eine Armlänge von sich entfernt zu halten und sie einmal ordentlich zu mustern. „Danke Anderson, ich bin in Ordnung. Leg dich also nicht mit mir an oder ich werfe eine Krücke nach dir!" Sie muss lachen, hört aber sofort wieder auf, da sich die gebrochenen Rippen gegen die viele Bewegung zur Wehr setzen. „Wer sind sie alle? Woher kennen sie Avery?" sie hatte völlig vergessen, dass Miss Jones noch im Raum ist. Diese Blickt nun verwirrt und auch etwas empört von einem zum Anderen und bleibt zuletzt an Avery hängen. „Und wer sind sie?" fragt der Kommandant. Und wirft ihr einen Blick zu, der so Vieh heißt wie: was wollen sie denn noch hier? „Monika Jones vom Jugendamt und sie sind?" Mit ziemlich eingebildetem Blick streckt sie ihm die Rechte Hand entgegen. „Kommandant Erik Wallis, US Army." Er zeigt ihr seine Marke und steckt sie dann wieder ein. Ihre Hand ignoriert er geflissentlich. „Wollen sie etwa behaupten, dass Avery mit ihnen Kämpfen trainiert? Ein Kind?" Erneut blickt sie erschrocken zwischen Avery und Kommandant Wallis hin und her. „Ich habe nichts dergleichen gesagt. Selbst wenn, darf ein junges Mädchen nicht lernen sich selbst zu verteidigen? Ihre Eltern sind hohe Tiere in der Army da ist es immer gut, wenn sie zumindest die Basics kann." Antwortet der Kommandant kühl. Damit hätte Miss Jones wohl nicht gerechnet, denn für einen kurzen Moment ist sie sprachlos. Als sie ihre Stimme wieder findet antwortet sie: „Natürlich ist es gut wenn sie sich verteidigen kann, aber es klang bei Ihnen wie weitaus mehr. Ich werde in diese Richtung ermitteln, wenn es sein muss, wende ich mich an ihren Vorgesetzten." Wütend läuft Jones auf und ab. „Das können sie gerne tun, der sitzt da draußen im Wartezimmer und will wissen, wie lange seine Tochter hier bleiben muss. Wenn sie uns jetzt bitte alleine lassen würden." Verärgert verlässt Miss Jones den Raum. „Du hast Afghanistan erfolgreich überstanden, dann schaffst du das jetzt auch. Und danach werden wir alle zusammen den Neulingen zuschauen, wie sie sich durch das Training schlagen." Das bringt Avery wieder zum Grinsen.
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